Christina
Meine Geschichte ist die eines Mädchens, das leben wollte, aber nicht
konnte...
In der 6. Schwangerschaftswoche wurde meine Schwangerschaft festgestellt.
Wir waren sehr überrascht, da wir noch keinen Familienzuwuchs
geplant hatten. Aber wir freuten uns sehr!
In der 9. SSW erfuhren wir von meinem damaligen Frauenarzt, dass unser Baby
wahrscheinlich nicht gesund sei. Er schallte den Kopf ständig
und meinte, er könne den Umfang nicht berechnen. Ich hatte schon
beim ersten Termin, als meine Schwangerschaft festgestellt wurde,
bemerkt, dass der Kopf nicht besonders rund war, aber da der
Frauenarzt nichts sagte, dachte ich, da wird schon nichts sein…
Manchmal stimmt der erste Verdacht… Leider.
Ich hatte so eine Panik. Ich suchte verzweifelt im Internet, was mit dem
Kopf nicht in Ordnung sein könnte und stieß auf einen
ziemlich nüchternen Eintrag bei wikipedia, was unser Baby
wahrscheinlich haben könnte. Ich war total geschockt und ich
dachte, wenn es das ist, wird eine Welt, in der solche Dinge nur
anderen passieren, zusammenbrechen…
Das alles war am Montagabend.
Wir wurden sofort zu einem Pränataldiagnostiker überwiesen.
Am Mittwoch gegen Mittag wurden wir in dieser Praxis von einem Warte-
und Behandlungsraum in den nächsten geschoben. Wie eine Nummer.
Als wir endlich beim richtigen Arzt angelangten, stellte er trocken
fest was unser Baby hatte. Es rentiere sich nicht, ein solches Kind
auszutragen, wir sollten sofort einen Termin zur Abtreibung abmachen.
Er nahm den Telefonhörer in die Hand und hatte die Nummer der
Frauenklinik schon gewählt. Da schritt mein Freund ein und
meinte, wir würden das nicht jetzt entscheiden. Wir würden
uns melden, wenn es soweit ist. Der Arzt konnte das nicht verstehen
und wollte uns stetig davon abraten, aber wir hielten daran
fest….
Meine Christina hatte Anenzephalie. Dies ist ein
Neuralrohrdefekt. Das bedeutet, dass unser Kind nur sehr, sehr kurz
leben durfte. Bei Christina war die Schädeldecke nicht
vollständig geschlossen.
Diese Fehlentwicklung tritt zwischen dem 20. und dem 28. Tag nach der Befruchtung ein. Man
sagt, dass eventuel ein Folsäuremangel in diesem Zeitraum für
die Fehlbildung verantwortlich sein könnte, es kann aber im
Endeffekt alles sein : schweres Arbeiten, ungesunde Ernährung,
Alkohol, Gendefekt, elektromagnetische Strahlung, Medikamente,
Rauchen, und und und. Mit Sicherheit kann man nichts ausschließen...
Wir wissen nicht, was es bei uns ausgelöst hat. Ich rauche nicht, nehme
keine Drogen und ernähre mich relativ ausgewogen.
1 Kind von 1000 ist davon betroffen. 98 % der betroffenen Eltern lassen Ihre
Kinder abreiben. 1% trägt diese Kinder aus und 1% weiß
während der Schwangerschaft nicht dass ihr Kind Anenzephalie
hat. Die Schwangerschaft selbst birgt keine Risiken für die
Mutter.
Unsere kleine Maus war zwar nicht geplant, aber
dennoch haben wir uns sehr auf sie gefreut. Wir hatten schon
aufgeschrieben, was wir alles für unseren Neuankömmling
brauchen würden : Babykleidung, Babybett, Wickeltisch,
Stofftiere, Windeln, Babywagen...Träume entstanden und wir
wollten sie alle verwirklichen... Bis uns die Diagnose wie ein Blitz
traf….
Alle meinten sofort wir müssen abtreiben,
da unser Baby sowieso zum Tode verurteilt ist. Ärzte, Familie,
Arzthelferinnen... Es sei ein Leben das nicht lebenswert ist... aber
wer kann das schon entscheiden?? Eine enge Angehörige meinte
sogar, sie könne das nicht aushalten also würde ich das
auch nicht schaffen können… Wir hatten mit sehr viel
Gegenwind zu kämpfen, wie immer, wenn Menschen mit Dingen
konfrontiert werden, die sie nicht ändern können und die
sie nicht aushalten möchten…
Es war so schwer eine Wahl zu treffen, was nun richtig ist. Mit welcher
Entscheidung würden wir unser restliches Leben leben
können? Und wer spricht für das Kind?
Eine Entscheidung für oder gegen unser Kind musste fallen.
Sie fiel nach drei Tagen FÜR unser kleines Mädchen.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, mich auf diesen Stuhl zu legen
und zu zusehen, wie sie mein Kind umbringen würden. Ich bin doch
die Mutter! Gott hat für uns alle dieses Schicksal auserkoren,
wir wussten, es wäre nicht richtig gewesen… Ich konnte es
in meinem Herzen deutlich spüren.
Die Schwangerschaft war schwierig für mich. Das Wissen in sich zu
tragen, dass unser Engel kommen und sehr bald gehen muss. Dennoch war
sie gleichzeitig sehr, sehr schön, wir konnten die kurze Zeit
sehr intensiv mit ihr genießen. Wir machten viele
Ausflüge, mein Freund, unser Baby und ich. Wir hatten so
eine schöne Zeit, Aussenstehende wussten ja nicht was uns
passieren würde. Für einige Zeit waren wir eine kleine
Familie…. Wir haben sonst noch keine Kinder.
Wir benachrichtigten unsere wichtigsten Freunde mit einem Brief über
unser schweres Los und unsere Entscheidung. Alle waren sehr
betroffen. Einige wussten nicht, wie sie mit uns umgehen sollten,
doch alle haben sich sehr bemüht. Ohne sie hätten wir das
nicht geschafft.
Meine Lieblingsbeschreibung für diese Zeit ist bittersüß.
In der Schwangerschaft gab es eigentlich keine Probleme, Christina
entwickelte sich ganz normal, bis auf den kleinen "Schönheitsfehler".
Sie strampelte, bewegte sich und reagierte auf alles Mögliche.<
In dieser Zeit trafen wir allerdings immer wieder Menschen, die meinten,
uns ihre Meinung an den Kopf werfen zu müssen. Menschen, die in
keiner Weise von einer ähnlichen Situation betroffen waren.
Man gewöhnt sich an Vieles...
Sämtliche Ärzte meinten, dass unser Kind nicht hören, sehen, fühlen,
schlucken und auch sonst keine kindlichen Reflexe haben würde.
Nach der Entbindung stellten wir in fast allem fest, dass sie es doch
konnte. Sie trank, war kitzlig, mochte keine Kälte, weinte,
lächelte immer wieder wenn ich sie meinem Freund auf den Arm gab
usw ...
Sie war ein Mensch, wenn auch nicht perfekt, aber wer ist schon perfekt?
Müssen wir deshalb nun alle sterben?
Unsere Christina wollte leider nicht von alleine kommen und deshalb mussten
wir sie dann in der 41. Woche + 1 Tag per Kaiserschnitt holen. Montag
telefonierte ich mit meinem Gynäkologen und wir beschlossen sie
am Freitag zu holen...
Es war keine leichte Entscheidung...
Ich wollte den Kaiserschnitt, weil unsere Christina sonst ziemlich sicher
sofort während oder gleich nach der Geburt gestorben wäre.
Ich war bei vollem Bewusstsein und es war schrecklich dazuliegen und zu
wissen, ab dem Zeitpunkt wo sie die Nabelschnur durchschneiden, läuft
die Zeit gegen uns...
Als Christina meinen Bauch verlassen hatte, schrie sie dreimal aus
Leibeskräften. Es war so gut sie schreien zu hören, so voll
Lebenskraft und Mut!
Als die Hebamme Christina zu mir legte (die Hebamme weinte bitterlich), dachte ich, sie wird sofort sterben,
doch sie rappelte sich auf und wir verbrachten fast 2 Tage
miteinander.
3030 g und 45 cm! Jede Träne, die ich geweint habe war es wert. Ein neuer
kleiner Mensch war geboren... Sie lebte bei und für uns, sie war
so stark und so schön! Aller Kummer, aller Schmerz, alles war es
wert gewesen, mein Kind auf dem Arm zu halten!
Wir konnten sie unmittelbar nach der OP in der Krankenhauskapelle taufen lassen.
Es war eine so schöne Zeremonie! Unser Pfarrer verglich
unsere kleine Christina mit einer Strohblume. Sie ist schnell
vergänglich, aber sie bleibt auch nach ihrem Absterben
wunderschön. Es bleibt so viel Schönheit von ihr zurück...
So wie bei unserer kleinen Tochter Christina…
Mein Freund war immer bei mir/uns und das war so wichtig! Ohne ihn hätte
ich das alles niemals geschafft!
Unser kleiner Engel war die ganze Zeit bei uns, keine Sekunde war sie von
uns getrennt! Das war so schön! Wir wussten es war richtig
so...
Christina war am Freitag dem 21.08.09 um 09.03 Uhr zur Welt gekommen. Am
Sonntag den 23.08.09 verließ sie uns um 08.07 Uhr. Still und
leise, wie sie gekommen war.
Sie war und ist das Beste was uns je passieren konnte!!!!!
Am Freitag den 28.08.09 war dann die
Beerdigung. Der kleine Sarg hat mir mein Herz gebrochen. So winzig.
Unser kleines Mädchen dort drinnen? Das war echt so schlimm. Wir hatten
in der Gärtnerei ein großes Herz mit weißen Rosen
für sie bestellt. Mein Freund und ich legten ihr dann je eine
rote Rose ins Grab. Bei der Trauerfeier waren nur die engsten Familienangehörigen
und zwei Freundinnen dabei. Die Sargträger waren zwei unserer besten
Freunde. Es war fürchterlich traurig, doch es hat uns einen Abschluss gegeben.
Wir haben nun einen Platz zum trauern. Wir sind jeden Tag bei
Christina und zünden eine Kerze für sie an.
Für UNS war es in jedem Fall die richtige Entscheidung. Jeder muss die
eigene für sich selber treffen. Wir haben für uns
beschlossen, dass es in diesem besonderen Fall keine generell
"richtige Entscheidung" gibt. Aber eine Entscheidung für
das Leben kann niemals falsch sein...
Im Nachhinein würde ich es nie anders machen. Wir können von
unserer kleinen Tochter Christina erzählen... Ein kleiner Engel,
der mit seinen Flügeln kurz die Erde streifte...
Wir hatten so viel Glück, dass sie wenigstens 2 Tage leben durfte.
Das lag nicht in unserer Hand.
Sie fehlt so sehr. Als sie ging nahm sie ein großes Stück meines
Herzens mit sich...
Maria
Maria kann über den
Webmaster
erreicht werden.
Update:
2017 bekam Christina ein gesundes Geschwisterchen
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 22.02.2019