Immanuel
Die Geschichte der Geburt eines Kindes mit Anenzephalie
Ein Ehepaar entschliesst sich, ein Kind mit Anenzephalie nicht wie heute üblich abtreiben zu lassen, sondern zur Welt zu bringen, auch wenn es nur wenige Tage zu leben hatte. Sie legen ihre Gedanken in Tagebuchform vor. Daneben kommt die Sicht der sie begleitenden Personen zum Tragen : Freunde, Aerztin, Seelsorger, Hebamme.
Buchbesprechung von Dr. med. C.Hobohm
Zum Inhalt des Buches
Der Titel des Buches sagt eigentlich alles Wesentliche schon aus. Ein kleiner Junge mit
Namen Immanuel, dem ein grosser Teil des Gehirns fehlt, wird geboren (und stirbt 25
Stunden nach der Geburt).
Das Buch ist zusammengesetzt aus Beiträgen der verschiedenen betroffenen Personen:
beider Eltern, der Hebamme, der ärztin, des Seelsorgers und einer Freundin. Es wird
(zum Teil in Tagebuchform) beschrieben, wie der Mutter bei einer Ultraschalluntersuchung
im Krankenhaus die Diagnose mitgeteilt wird und welche Gefühle und Gedanken die genannten
Personen dann im Verlauf der Schwangerschaft und bei der Geburt und beim Tod von Immanuel hatten.
Zur Bedeutung des Buches
Mir persönlich erscheint das Wichtigste an diesem Buch aber nicht irgendein Einzelaspekt
zu sein. Die im Buch erzählten Details haben m.E. vielmehr die Funktion eines Beweises,
den man liefern muss, um die Hauptbotschaft auszusagen. Und die Hauptbotschaft ist das
Geschehen als Ganzes und der Angriff, den dieses Geschehen auf unser Denken bedeutet.
Das eigentliche Entscheidende dieses Buches ist, dass es ein grundlegendes Paradigma
unseres Weltbildes, unseres Menschenbildes, unserer Ethik sprengt.
Im Medizinerjargon werden ungeborene Kinder ohne Gehirn zum 'Anenzephalus' versachlicht,
das heisst wörtlich übersetzt zum 'OhnHirn'. Lebensfähig sind diese Kinder ohnehin
nicht, also werden sie abgetrieben, das ist jedem Mediziner so klar wie etwas nur klar
sein kann. Aber warum eigentlich? Warum ist dieser Fall eigentlich so klar?
Nun, ich denke, weil wir heute unsere Menschenwürde vor allem durch unsere geniale
Gehirnleistung, also die Vernunft oder Intelligenz definieren. Dieses Denken entspringt
dem Geist der Aufklärung und der Französischen Revolution, die die Vernunft als Göttin v
erehrte. Der Name, den die moderne Biologie uns Menschen gegeben hat, spiegelt dieses
Selbstverständnis wider: homo sapiens sapiens der 'weise weise Mensch'. Diese
Definition erfüllt ein Mensch ohne Grosshirn natürlich nicht und hat deswegen
so die weitverbreitete Vorstellung keine Menschenwürde.
Die Geschichte von Immanuel zeigt aber, dass dieses Weltbild nicht das einzig mögliche,
ja sogar schlichtweg falsch ist. Unser aller ängste vor einem behinderten Kind sind ebenso
irrational wie die Angst der Seeleute früherer Jahrhunderte, am Rand der Erdscheibe in
die Tiefe zu stürzen. Der Entschluss der Marolds, Immanuel nicht vor seiner Geburt zu töten,
durchkreuzt unser Weltbild totaler und radikaler als jede noch so geniale Argumentation.
Durch ihre Tat 'behaupten' Marolds: Unser Menschenbild ist falsch. Sie behaupten: Unser
Sohn ist ein Mensch, auch wenn er kein Grosshirn besitzt.
Und die Bibel gibt ihnen Recht: denn dort erhält der Mensch seinen Wert nicht durch seine
Intelligenz oder seine Vernunft, sondern dadurch, dass er das Ebenbild Gottes ist. Die korrekte
Bezeichung unserer Spezies wäre demnach: homo imago dei, der 'Mensch, das Ebenbild Gottes'.
Liebevoll gegen die Abtreibung
Ein interessantes Detail möchte ich zu diesem Buch noch anmerken: In der Diskussion um das
Für und Wider der Abtreibung wird oft der Eindruck erweckt, als seien Abtreibungsgegner
selbstgerecht, scheinheilige Typen (insbesondere natürlich die Männer), die sich an den
wirklichen Problemen der Betroffenen nicht die Finger schmutzig machen wollen, aber mit
überhöhten moralischen Forderungen anderen das Leben schwer machen.
Die Marolds, die Immanuel bekommen haben, sind entwaffnend anders: sie haben (zumindest
in ihrem Buch) nicht darüber reflektiert, ob diese Tat ein Weltbild auf den Kopf stellt,
ob es Hunderttausende ja Millionen von Abtreibungen ins Unrecht setzt. Ihnen war völlig
egal, ob ihr Entschluss Tausende von Gynäkologen und deren Helfer anprangert. Sie hatten
kein Interesse an ideologischen Grabenkriegen. Sie wollten nur eines: ihr Kind lieben,
mütterlich und väterlich Zuwendung geben und zärtlich ein kostbares Geschenk aus Gottes
Hand annehmen.
Gerade diese völlige Harmlosigkeit der Marolds dürfte die Wirksamkeit des Buches potenzieren
und viele Leser offen machen für einen Gedanken, den die Mutter Inka Marold formuliert hat,
und der für mich die tiefste Aussage dieses Buches ist:
"Immanuel war für mich ein ganz grosses Erlebnis. Es scheint mir so, als wenn Gott selbst von Anfang an in ihm mächtig gewesen ist und er nur gelebt hat, um uns zu sagen, dass Gott allezeit mit uns ist und über uns wacht. Immanuels Lächeln ein Gruss, ein Lächeln seines und unseres Gottes."
Wie wahr. In diesem Baby ohne Gehirn, das wie wir alle Ebenbild Gottes ist,
lächelte uns in gewissem Sinne Gott selber zu. Ecce homo! Seht, welch ein Mensch!
Immanuel das heisst: Gott ist mit uns! Ist das nicht wunderbar?
Immanuel
Die Geschichte der Geburt eines anenzephalen Kindes
Inka und Thorsten Marold
Verlag für Kultur und Wissenschaft Dr. Thomas Schirrmacher, Bonn 1996
Action christliche Gesellschaft 1
ISBN 3926105666
Das Buch ist leider vergriffen und wird nicht mehr neu aufgelegt werden. Man findet es aber online
gebraucht zu kaufen.
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 23.02.2019