Mike Jeremi und Joey
26.10.1993 28.10.1993
Januar 1993, hurra, schwanger! Überglücklich ging ich zur Hebamme. Sie war der Meinung, dass ein
Ultraschall gemacht werden sollte. Sie erwähnte allerdings nicht, dass dabei auch festgestellt werden
könne ob ich zwei Babys erwarte. Also auf zum Krankenhaus. Lang wurde geschaut und gezweifelt, ob wir
nun ein oder zwei Babys erwarten, bis wir dann alle drei plötzlich Baby Nummer zwei sahen. Wir waren
so vor den Kopf geschlagen, dass wir nur noch wie verrückt kicherten.
Die Schwangerschaft verlief wunderbar. Ich hatte keine Beschwerden, fühlte mich wunderbar. Die Ultraschalls
verliefen allesamt gut. Nur das untenliegende Baby war sehr lebendig, es drehte sich munter und wollte
nicht ruhig bleiben. Deshalb rechneten wir mit einem Kaiserschnitt.
In der 39. Schwangerschaftswoche wurde die Entbindung eingeleitet. Am Mittag platzte die Fruchtblase.
Der Gynäkologe wurde geholt. Weil sich das untere Baby immer noch drehte und der Arzt seine Lage nicht
ertasten konnte, sollte ich doch einen Kaiserschnitt bekommen. Die Teilnarkose wurde gelegt und ich
konnte alles bewusst miterleben.
Als erstes wurde das vordere Baby geboren. Joey wog 3 Kilo und war kerngesund. Er wurde zum Kinderarzt
gebracht. Dann war Zeit für das zweite Baby. Mike wurde 5 Minuten später geboren. Lautstark liess er
vernehmen, dass er nun da war. "Dann ist ja sicher alles in Ordnung" dachten wir uns. Doch anstatt
das Wilco wie abgesprochen sofort zu den Babys durfte, hiess man ihn bei mir sitzen bleiben. Dann wurde
er gerufen und der Gynäkologe sagte mir, dass irgend etwas nicht stimmte mit Mikes Kopf, dass er keine
überlebenschance hätte. In diesem Moment konnte ich es gar nicht glauben. Später auf dem Zimmer begann
ich langsam zu realisieren, dass Mike nicht bei uns bleiben konnte.
Mike wurde ohne Gehirn und Schädelknochen geboren, er hatte keine Chance.
Wir durften nun zu unserem Baby. Joey lag in einem Brutkasten, Mike in einem Bettchen. Die Krankenschwester
hatte ihm ein kleines Mützchen angezogen, er sah damit wie ein Zwerglein aus. Sein Gesicht war geschwollen,
doch er war wunderschön! Ich fühlte mich sofort als seine Mutter. Bei Joey kamen diese Gefühle erst später,
aber ich wusste ja, dass er es schaffen würde. Nachdem wir mit dem Krankenhausseelsorger gesprochen hatten
konnten wir Mike taufen. Danach telefonierten wir unseren Eltern und Geschwistern. Es war wie in einem Film,
ich konnte nicht glauben, dass dies die harte Realität war.
Die Opas und Omas kamen und waren sehr traurig. Joey und Mike wurden liebgekost und geküsst. Die anderen
mussten hinter der Glasscheibe zuschauen.
Aber Mike wollte uns noch nicht so schnell verlassen. Deshalb wurde uns ein Zimmer zur Verfügung gestellt,
damit die ganze Familie bei uns bleiben konnte. Die ganze Nacht sind sie bei Mike und Joey geblieben. Für
Joey wurde das dann doch zuviel, so kam er wieder zurück auf die Säuglingsstation. So konnte er auch öfter
bei mir sein. Am Morgen war ich nochmals bei Mike, doch dann konnte ich nicht mehr. Wilco rannte ständig hin
und her, um zu erzählen wie es lief.
Mike wollte nicht essen und wurde immer wieder ganz blau. Das war beängstigend. Er lag immer entweder in
Wilcos Armen oder wurde von seinen Grossmüttern getragen. Er wollte nicht alleine in seinem Bettchen liegen.
Er musste Joey vermissen. Sie waren ja 9 Monate lang zusammengewesen.
Nach 49 Stunden gab Mike seinen Lebenskampf auf und starb in den Armen seines Vaters. Ich konnte den Anblick,
wie er von uns ging, nicht ertragen und wollte mich auch überhaupt nicht von ihm verabschieden.
Meine Oma hatte für beide Kinder Taufkleider gemacht. Nun zogen wir Mike sein Taufkleid an. Alle kamen,
um Mike ein letztes Mal zu sehen, doch ich wollte ihn nicht mehr sehen. Die anderen überzeugten mich aber,
so bin dann doch zu Mike gegangen. Er war so schön. Ich wollte ihn meine Arme nehmen, ihn spüren und riechen
und alles in mich aufnehmen.
Wilco und ich beschlossen, dass wir Mike danach nicht mehr sehen wollten. Er war so schön in diesem Moment,
dieses Bild wollten wir für immer behalten.
Am Montag, den 1. November, haben zusammen mit unserer Familie und Freunden Abschied von Mike genommen.
Der Gottesdienst wurde in der Krankenhauskappelle gehalten. Der Pfarrer hatte die Kapelle mit Kuscheltieren
und Luftballons geschmückt. Das war sehr schön. Ich wurde in die Kapelle geschoben, da ich mich ja noch von
der Operation erholen musste. Ich hielt Joey in meinen Armen. Der Sarg mit Mike war schon da. Mein Bett wurde
daneben platziert. Wilco nahm hinter dem Sarg Platz. So waren wir noch ein letztes Mal zusammen.
Die Krankenschwester, die Mike in den ersten Stunden versorgt hatte, las Ausschnitte aus dem Krankenrapport vor.
Sie hatte den Bericht in der Ich-Form verfasst. Wilco las einen Bibelabschnitt. Schon kam der Moment, wo Wilco
Mike hinausbringen musste, wo das Auto für die Fahrt zum Krematorium wartete. Mein ganzer Körper schmerzte.
Dies war der schwierigste Moment für uns alle drei. In dem Moment, wo Wilco Mike heraustrug, öffnete Joey seine
Augen weit, obwohl er vorher die ganze Zeit über geschlafen hatte.
Für unsere Jungen war dies sicher eine sehr schwere Trennung.
Joey hatte bis dahin ziemlich im Hintergrund gestanden. Doch nun schien uns der geeignete Moment gekommen,
um Zwieback mit Muisjes zu essen (holländische Tradition nach einer Geburt). So traurig wir auch waren, waren
wir doch glücklich. Glücklich, weil Joey bei uns bleiben durfte.
Mike wird aber immer einen besonderen Platz in unserem Leben haben.
Nach Joey und Mike haben wir noch zwei wunderbare Töchter bekommen:
Anissa am 28. November 1997 und Briènne am 18. August 1999.
Angelique Hendriks, Niederlande
Originalbericht in Holländisch
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 25.02.2019